Wird Rudern und das Rudergerät als Krafttraining betrachtet?
Haben Sie schon einmal auf einem Rudergerät trainiert? Dann wissen Sie, dass die Rücken- und Beinmuskeln schon nach wenigen Minuten laut um eine Pause bitten. Es ist offensichtlich, dass das Training mit dem Rudergerät viele Muskelgruppen unseres Körpers beansprucht. Aber gilt Rudern als Krafttraining?
Für viele Menschen ist das eine wichtige Frage, denn sie möchten Muskeln aufbauen und abnehmen. Home For You hat sich dazu die Meinung von Expert:innen eingeholt.
Was ist Rudern und welche Vorteile bietet es?
Rudern ist aus vielen Gründen ein großartiges Workout. Eine der beeindruckendsten Statistiken zeigt, dass beim Rudern bis zu 85 % der Körpermuskulatur aktiviert werden. Die Bewegungen erfolgen hauptsächlich durch die großen Muskelgruppen im Unterkörper – Gesäß, hintere Oberschenkel und Quadrizeps. Bei richtiger Ausführung werden auch die Core-Muskulatur, Bizeps, Latissimus, die Wirbelsäule sowie die Rhomboiden beansprucht.
In der Regel nutzen Menschen das Rudergerät aber vor allem für ein Ganzkörper-Cardiotraining und nicht unbedingt für Kraftaufbau, sagt Trainerin Kelly Bernadin. Denn Rudern ist ein effektiver Weg, den Puls in die Höhe zu treiben und die Ausdauer zu stärken.
Es hilft aber auch, Kraft – also die Fähigkeit, schnell Kraft zu erzeugen – zu entwickeln. „Kraft bedeutet Schnelligkeit, Reaktionsfähigkeit, Agilität – Fähigkeiten, die mit zunehmendem Alter immer wichtiger werden“, erklärt Trainerin Rachel Vaziralli. Viele klassische Krafttrainingsformen wie z. B. Plyometrie sind zwar sehr effektiv, aber wenn Ihre Gelenke etwas Sanfteres brauchen, können Sie dieselbe explosive Intensität auch am Rudergerät erreichen, indem Sie sich beim Zurückziehen besonders anstrengen.
Außerdem weiß jede:r, der/die schon mal gerudert hat, wie wichtig eine koordinierte Bewegung zwischen Ober- und Unterkörper ist. „Das kann den Menschen helfen, die Koordination zwischen verschiedenen Körperteilen und Gelenken zu verbessern“, sagt Rudertrainerin Kristy Larson.
Was ist Krafttraining?
Krafttraining ist in Wahrheit ein recht weit gefasster Begriff. „Heutzutage scheint er alles Mögliche abzudecken“, meint Vaziralli. Immer mehr Menschen erkennen, wie wichtig Krafttraining für den Erhalt von Muskelmasse und Knochendichte im Alter ist. Deswegen wird der Begriff oft für alles verwendet, was unsere Muskeln herausfordert.
Traditionell versteht man darunter Übungen, bei denen die Muskeln gegen einen Widerstand arbeiten – sei es die Schwerkraft bei Körpergewichtsübungen oder das Heben externer Gewichte.
Vaziralli erklärt, dass Krafttraining in der Regel zwei Ziele verfolgt: die Steigerung der Maximalkraft (also wie viel man bei einer Wiederholung bewegen kann) oder Muskelaufbau (Hypertrophie). „Aber es kann auch um Kraftausdauer gehen – also wie lange ich eine Bewegung über einen bestimmten Zeitraum hinweg ausführen kann“, sagt sie. Und genau da kommt Rudern ins Spiel…
Gilt Rudern als Krafttraining?

Auf dem Rudergerät arbeitet man anders als im klassischen Fitnessstudio. Rudern ähnelt laut Larson in gewisser Weise einer Kreuzheben-Bewegung. „Wir bewegen das Gewicht nur in einer anderen Ebene, in einem anderen Verhältnis zur Schwerkraft“, erklärt sie. Während man beim Krafttraining mit Kreuzheben 6–12 Wiederholungen pro Satz macht, besteht ein Rudersatz oft aus Dutzenden oder Hunderten Zügen. Das bedeutet, dass die Intensität geringer sein muss, um die gesamte Trainingseinheit durchzuhalten. Deshalb fördert Rudern eher die Kraftausdauer als den Aufbau maximaler Muskelkraft.
Natürlich bietet auch ein Rudergerät Widerstand – ein Kernelement des Krafttrainings. Aber die Obergrenze dieses Widerstands ist relativ niedrig. Das bedeutet, man kann keine progressive Überlastung erzielen, also den Widerstand stetig steigern wie beim Hanteltraining.
Das Maß an Kraft, das man durch Rudern entwickeln kann, hängt vom individuellen Fitnesslevel ab. Wenn jemand ohne sportlichen Hintergrund regelmäßig rudert und die Muskeln auf neue Weise nutzt, wird er oder sie wahrscheinlich einen Zuwachs an Kraft feststellen. „Bei sehr aktiven Personen ist der Muskelzuwachs dagegen begrenzter“, sagt Vaziralli. Selbst Anfänger:innen erreichen nach einigen Wochen ein Plateau, da sich der Widerstand nicht beliebig steigern lässt.
Fazit? „Betrachten Sie Rudern als Teil eines Cardiotrainings, nicht als Krafttraining“, sagt Larson. „Wie beim Laufen oder Schwimmen arbeiten die Muskeln mit. Sie werden beansprucht. Aber es gibt keinen nennenswerten Zuwachs an fettfreier Muskelmasse wie beim echten Krafttraining.“
Wie man das meiste aus dem Rudertraining herausholt
Wenn Sie den maximalen Krafteffekt aus dem Rudern herausholen möchten, gibt es einige Strategien. Bernadin empfiehlt, die Schlagfrequenz auf 16–24 Züge pro Minute zu reduzieren. „Das bringt den Widerstand zur Ruhe, sodass sich jeder Zug wie ein neuer Impuls anfühlt“, erklärt sie. Der erste Zug sei immer der schwerste, weil das Schwungrad noch keine Bewegung hat.
Außerdem empfiehlt sie, die Leistung (Power) zu erhöhen – sie misst, wie viel Energie Sie pro Zug einsetzen. „Je höher die Leistung, desto mehr drücken Sie mit den Beinen gegen die Fußplatten und desto kräftiger ziehen Sie mit den Armen“, sagt sie.
Weil jeder Zug mehr Kraft erfordert, rudert man in diesem Fall meist nur 100 Meter oder ein paar Minuten am Stück. „Je niedriger die Schlagfrequenz und je kräftiger der Abdruck, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man genauso lange durchhält wie bei lockerem Tempo“, sagt Bernadin.
Unabhängig von der Herangehensweise: Achten Sie auf die richtige Technik, um das Training effektiv und sicher zu gestalten. „Wenn Sie neu im Rudern sind, empfehle ich dringend, an einem Kurs teilzunehmen oder Unterricht bei erfahrenen Trainer:innen zu nehmen“, rät Bernadin.
Zählt Rudern nun als Krafttraining?
Wenn Ihr Ziel primär der Kraftaufbau ist, reicht reines Rudern nicht aus. „Wenn das Rudergerät das Einzige ist, was Sie haben – großartig, dann nutzen Sie es. Aber wenn Sie zusätzlich Krafttraining integrieren können, werden Sie bessere Ergebnisse erzielen“, erklärt Bernadin.
Rudergeräte sind in erster Linie für Ausdauertraining konzipiert. Und genau in diesem Bereich sind sie am wirkungsvollsten. Auch wenn heutzutage viel über Krafttraining gesprochen wird, sollte die Herzgesundheit nicht vernachlässigt werden. „Sie müssen trotzdem Ihren VO2max steigern – ein starker Indikator für ein längeres Leben“, sagt Vaziralli. „Und das geht nur mit Ausdauertraining.“
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