Vor der Reise hinsetzen: Schutzritual oder nur eine Gewohnheit?

Vor der Reise hinsetzen: Schutzritual oder nur eine Gewohnheit?

Haben Sie sich jemals gefragt, warum Ihre Großmutter oder Mutter darum bittet, sich vor einer Reise kurz hinzusetzen? Diese einfache Geste, die vielen seit der Kindheit vertraut ist, erscheint alltäglich, hat aber tatsächlich tiefe Wurzeln in der Kultur und Tradition. Das Hinsetzen vor der Reise ist nicht nur ein Moment der Ruhe, sondern ein echter Ritus, der die Ukrainer seit Jahrhunderten begleitet. Wie die Redaktion von Home For You berichtet, steht hinter diesem Brauch eine ganze Philosophie der Ruhe, des Schutzes und der inneren Ausrichtung. In diesem Artikel betrachten wir die Ursprünge, die Bedeutung und die moderne Interpretation dieser Tradition.

Historische Wurzeln des Brauchs, sich vor der Reise zu setzen

Dieser Brauch gilt als eine der ältesten Volkstraditionen, die mit dem Reisen verbunden sind. Er wurde in verschiedenen Teilen der Ukraine und sogar darüber hinaus praktiziert – auch andere slawische Völker haben ähnliche Rituale. Das Sitzen vor dem Verlassen des Hauses galt als Möglichkeit, sich auf die Reise einzustimmen, Energie zu bewahren und sich auf einen sicheren Weg vorzubereiten.

Was sagen Ethnografen?

Kulturforscher erklären diese Tradition als symbolische „Pause“ vor einem neuen Lebensabschnitt. Früher glaubte man, dass eine Reise nicht nur eine physische Bewegung, sondern ein Übergang zwischen Welten sei. Um nicht einen Teil der Seele im Haus zu lassen oder etwas Überflüssiges mitzunehmen, müsse man innehalten und in sich hineinhören.

Glaube der Vorfahren

In Volksglauben war die Vorstellung verbreitet, dass Hausgeister oder Schutzwesen den Hausherren bis zur Tür begleiteten. Das kurze Sitzen erlaubte ihnen, sich zu verabschieden, ohne sich in die Reise einzumischen.

Symbolik der Geste: Warum gerade sitzen?

Auch die Form des Rituals ist bedeutend. Das Sitzen ist keine zufällige Geste, sondern eine tief symbolische Bewegung, die beruhigende und fokussierende Energie trägt.

Körperliche Erdung als Energiezentrierung

Beim Sitzen nähert sich der Körper der Erde maximal an – das symbolisiert in der Volkskultur Erdung, Spannungsabbau und Stabilisierung. So leitet man überschüssige Emotionen, Ängste, Zweifel und Sorgen in die Erde ab.

Pause vor einer Handlung

Sich hinzusetzen bedeutet, vor einem wichtigen Moment innezuhalten. Das hilft nicht nur, den Geist zu beruhigen, sondern auch die Gedanken zu ordnen, an etwas Wichtiges zu denken oder zu prüfen, ob alles dabei ist.

Wie wird das Ritual durchgeführt?

Die Tradition kann je nach Region, Familie oder persönlichen Vorlieben variieren. Aber ihr Kern bleibt gleich.

Typischer Ablauf:

  1. Die reisende Person ist bereit, das Haus zu verlassen.
  2. Vor dem Aufbruch setzen sich alle Anwesenden für ein paar Sekunden auf eine Bank oder den Koffer.
  3. Das Sitzen dauert 10–20 Sekunden in Stille oder mit kurzen Worten – „viel Glück“, „gute Reise“.
  4. Danach steht man auf und geht.

Wichtige Details

  • Während des Rituals sollte man keine Witze machen – das gilt als schlechtes Omen.
  • Wenn mehrere Leute reisen, setzen sich alle, die gehen.
  • Nach dem Sitzen sollte man nicht zurückkehren – das unterbricht den Schutz des Rituals.

Psychologische Erklärung: Wirkung auf das Unterbewusstsein

Auch die moderne Psychologie hat eine Erklärung für diesen Brauch. Forscher bestätigen, dass selbst eine einfache Handlung wie kurzes Sitzen das Nervensystem beruhigen kann.

Wirkung von Ritualen auf den emotionalen Zustand

Bei jedem Ritual sind Wiederholung und symbolische Bedeutung entscheidend. Das Sitzen vor einer Reise sendet dem Gehirn das Signal: „Ich bin bereit“. Das erzeugt ein Gefühl von Kontrolle, selbst wenn der Weg ungewiss ist.

Wie funktioniert das praktisch?

  • Die Psyche erkennt, dass ein wichtiger Prozess beginnt.
  • Das Gehirn erhält das „Signal“, die vorige Etappe abzuschließen.
  • Eine kurze Pause senkt das Stressniveau.
  • Man ist besser auf mögliche Schwierigkeiten vorbereitet.

Moderne Wahrnehmung: Sollte man die Tradition beibehalten?

Heute ist das Sitzen vor der Reise kein weit verbreiteter Brauch mehr. Doch viele, vor allem ältere Menschen, halten daran fest – nicht nur aus Respekt vor der Vergangenheit, sondern weil es funktioniert.

Vorteile der modernen Anwendung

  • Einfache psychologische Vorbereitung
  • Verbindung zur Familie und den Traditionen
  • Erhöht die Achtsamkeit – ob man alles mitgenommen hat
  • Ermöglicht ein bewusstes Abschiednehmen oder innerlichen Segen

Ist es Aberglaube?

Auch wenn man nicht an Magie oder Schutzgeister glaubt, lässt sich das Ritual rational erklären. Es ist eine Gewohnheit, die Ordnung bringt und Nervosität abbaut. Deshalb lohnt es sich, sie als Teil der modernen mentalen Gesundheit zu bewahren.

Interessante Fakten und Variationen des Rituals

  • In Polen gibt es eine ähnliche Tradition – man setzt sich kurz vor dem Aufbruch, meist im Rahmen eines familiären Segens.
  • In Japan hält man vor dem Verlassen des Hauses inne, um „die Kontrolle über die Zeit zu übernehmen“.
  • In einigen ukrainischen Familien wird nach dem Sitzen ein kurzes Gebet gesprochen oder ein Segen ausgesprochen.

Alternativen oder Ergänzungen zum Ritual

  1. Kurzmeditation vor der Reise
  2. Tiefer Atemzug mit Konzentration
  3. Innere Affirmationen wie: „Ich bin geschützt“, „Meine Reise wird gut verlaufen“
  4. Umarmung von Angehörigen oder Händedruck
  5. Aufschreiben des Reiseziels als energetische Unterstützung

Sich vor einer Reise zu setzen ist keine bloße Geste oder Kindheitserinnerung. Es ist Teil eines tiefen kulturellen Erbes mit psychologischer und symbolischer Bedeutung. Dieses Ritual hilft uns, innezuhalten, innere Balance und Ruhe zu finden. In einer Welt, die sich rasant verändert, sind solche einfachen Handlungen wie ein Anker im Moment. Und wenn es hilft, auch nur ein wenig Stress zu reduzieren – warum nicht für einen Augenblick Platz nehmen?

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